BERLIN // „Bund und Länder agieren nur noch im Tunnelmodus. Die alleinige Fixierung auf die Corona-Inzidenzwerte wird der komplexen Lage nicht gerecht. Die Maßnahmen müssen sich an den wissenschaftlichen Fakten orientieren und die zeigen, dass die Infektionsgefahr beim Einkaufen niedrig ist.“ Mit dieser Kritik reagiert Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), auf die von Bundes- und Länderregierungen beschlossene erneute Verlängerung des Lockdowns bis zum 18. April.
Der Unmut über die Corona-Politik der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten wächst spürbar. Vielen Bürgern und Unternehmern ist kaum noch zu vermitteln, warum ihre Grundrechte nach über einem Jahr Corona-Pandemie nach wie vor eingeschränkt werden, warum ihre Betriebe über Monate hinweg von Zwangsschließungen betroffen sind, während die Politik ihre Hausaufgaben nicht oder nur unzureichend löst.
Unterdessen hinterlässt der seit über 100 Tagen andauernde Lockdown tiefe Spuren in den Geschäften, die nicht mit Lebensmitteln handeln. Aus der neuesten HDE-Umfrage unter knapp 1000 Händlern geht hervor, dass 54 Prozent der Bekleidungsgeschäfte und 58 Prozent der Läden mit Schuhen und Lederwaren die Insolvenz droht.
In einer Studie kommen das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Verband der Vereine Creditreform zu dem Schluss, dass in der zweiten Jahreshälfte jenen Firmen eine Pleite droht, die aktuell durch staatliche Corona-Hilfen „künstlich am Leben gehalten“ werden. Auf diese Weise habe sich ein Rückstau bei den Insolvenzen in Höhe von etwa 25.000 überwiegend kleinen Betrieben gebildet, so die Autoren der Studie.
Die Experten haben die Bonitätsdaten von etwa 1,5 Millionen Firmen ausgewertet und daraus abgeleitet, dass besonders kleine, finanziell schwache Betriebe, die unter normalen wirtschaftlichen Umständen sehr wahrscheinlich insolvent gegangen wären, ohne Perspektive auf eine erfolgreiche Sanierung durch staatliche Hilfen am Leben gehalten wurden – – so genannte „Zombie-Unternehmen“.
Der HDE hat außerdem von den Händlern erfahren, dass die Umsatzverluste in der vergangenen Woche im Vergleich zu 2019 weiter enorm sind. Die geschlossenen Geschäfte in den Innenstädten machten 63 Prozent weniger Umsatz als vor zwei Jahren. Die Läden, bei denen ein Einkauf mit Terminvereinbarung möglich war, verzeichneten ein Minus von knapp einem Drittel. Mit knapp einem Fünftel im Minus landeten die Geschäfte, die mit Begrenzung der Kundenzahl geöffnet hatten.
„Mit den Firmen wanken ganze Innenstädte“, warnt Stefan Genth. Beim HDE geht man von Umsatzverlusten durch den Lockdown seit dem 16. Dezember von bis zu 40 Milliarden Euro aus. Und mit jedem geschlossenen Verkaufstag des aktuell bis 18. April verlängerten Lockdowns kämen weitere 700 Millionen Euro Verlust hinzu. In Berlin schätzt man, dass durch die 100 Tage Lockdown bis zu 120.000 Läden in Existenznot geraten könnten.
Genth verweist auf eine aktuelle, vom Robert-Koch-Institut bestätigte Studie der TU Berlin, aus der hervorgeht, dass die Wahrscheinlichkeit für Ansteckungen im Einzelhandel eher niedrig sei.
„Die Branche darf nicht weiter aus symbolischen Gründen die Hauptlast bei der Bekämpfung der Pandemie tragen.“ Die Händler brauchten eine zeitnahe und realistische Öffnungsperspektive.
Immerhin waren der Gründonnerstag und der Karsamstag als Ruhetage schnell wieder vom Tisch, was der HDE als ein Signal der Vernunft bewertete. Die kurzfristig vorgesehene Schließung des Lebensmittelhandels am Gründonnerstag hätte letztlich zu erhöhtem Kundenandrang an den Tagen davor und danach geführt. Und in Pandemiezeiten gehe es schließlich darum, die Kundenzahl zu entzerren. Für die Lebensmittellogistik hätten mit der kurzfristigen Anordnung der Osterruhe ebenfalls erstzunehmende Probleme gedroht. Mit der Rücknahme dieses Beschlusses kehre ein Stück Vernunft in die Corona-Politik zurück.
Quelle: DTZ; vi
31.03.2021
Aufgrund einer Gesetzesänderung sind wir verpflichtet Ihre Volljährigkeit zu überprüfen. Hierzu stehen Ihnen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: